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Offene Antwort an 51 Tatort-Autoren

Der folgende Text ist eine offene Antwort eines winzig kleinen Teils der so genannten Netzgemeinde (Ich) auf den offenen Brief von 51 Tatort-Autoren, in dem es um das Urheberrecht und die Diskussion darüber ging.

Liebe 51 Tatort-Autoren,

mit Freunde habe ich festgestellt, dass Sie sich an der Diskussion über Urheberrechte im 21. Jahrhundert beteiligen möchten, ohne auf “Pisse-ins-Gesicht”-Metaphern zurückzugreifen. So macht diskutieren doch viel mehr Spaß!

Sie haben augenscheinlich erkannt, dass das Urheberrecht in seiner jetzigen Form einige Probleme hervorruft, die sich äußern in Massenabmahnungen von tatsächlichen oder angeblichen und oft als Raubkopierer verunglimpften filesharing-Nutzern und Forderungen der Verwerterindustrie nach umfassender Überwachung der Online-Kommunikation. Auch das ist korrekt.

Freier Zugang zu Kunst?

Im wesentlichen behaupten Sie, dass es sehr wohl freien Zugang zu Kunst gibt, nur eben keinen kostenfreien und das sei auch gut so, weil es immerhin die letzten 100 Jahre genau so lief. Diese Betrachtungsweise lässt jedoch die technische Entwicklung in den letzten 20 Jahren völlig außer Acht. Ich möchte nicht bestreiten, dass der Zugang zu Kunst und Kultur in Deutschland relativ frei ist. Jedoch nicht so frei, wie er sein könnte. Denn dank digitaler Medien können wir nun exakte Kopien von Musik, Filmen und Büchern mit minimalen Kosten (beim Kopiervorgang) und ohne Qualitätsverlust herstellen. Wohl gemerkt: Es sind Kopien, weswegen “Apfelklau im Supermarkt”-Vergleiche nicht greifen. Für diese Kopien braucht es ein anderes Vergütungsmodell, denn während die Kosten für die Produktion von Medienträgern, deren Transport und Lagerung weggefallen sind, sind die Kosten bei der Produktion der Kunst sind natürlich geblieben.

Alternative Vergügungsmodelle

Hier gibt es viele verschiedene Modelle und es würde mich freuen, wenn Sie diese mal genau unter die Lupe nehmen. Denn gerade Sie als Tatort-Autoren arbeiten schon unter einer Art “Kultur- und Nachrichtenflatrate”, genauer der GEZ. Auch viele andere Kulturprodukte werden aus staatlichen Mitteln subventioniert, während der Bürger – oder besser, der Investor – die Endprodukte trotzdem nicht frei nutzen kann.

Nun will ich bestimmt keine GEZ als allgemeines Kulturflatratemodell. Der Prozess ist viel zu intransparent und geprägt von zwischenparteilichem Konkurrenzdenken. Hier können durch die Nutzung der Informationstechnik neue, transparente Prozesse geschaffen werden – ohne großen Kostenaufwand. Modelle wie Flattr im Verbund mit einem vom Staat verteilten Budget wären hier eine Möglichkeit. Es gibt auch viele andere Vorschläge, doch nur eins steht jetzt schon fest: Ein “weiter so!” kann es nicht geben.

Bagatellisierung vs. Kampfbegriff

Im weiteren Verlauf des Briefes gehen Sie auf die Diskussionskultur im Netz ein, die Rechtsverstöße bagatellisiere. Danke gleichfalls. Denn durch Nutzung von manipulierenden Neologismen wie Raubkopierer (auf das Sie in ihrem Brief verzichten, was ich wohlwollend zur Kenntnis genommen habe) stellt Ihre Verwerter- und die angeschlossene Abmahnindustrie Konsumenten illegal heruntergeladener Medien mit Gewaltverbrechern gleich, was keine Grundlage für eine zielführende Diskussion sein kann.

Über siebzig Brücken musst du gehen

Danach geht es um die Schutzfristen. Ich möchte zitieren

“Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass nirgendwo eine Argumentation versucht wird, warum gerade diese Eigentumsform überhaupt eine Einschränkung erfahren darf […]”
und eine Gegenfrage stellen: Warum hat diese Eigentumsform überhaupt eine Ausweitung erfahren?
Die Regelschutzfrist beträgt in der EU und der Schweiz 70 Jahre. Aber nicht 70 Jahre nach Erstellung des Werkes, sondern 70 Jahre nach dem Jahr, in dem der Werkschaffende gestorben ist.
Nun sind diese 70 Jahre nicht gottgegeben, wie Sie es anscheinend vermuten. Lange Zeit waren es in Deutschland nur 30, ab 1955 dann 50 und erst ab 1995 70 Jahre. Überraschung: Jede Erhöhung fand unter dem Druck der Urheber statt.
In einer sich immer schneller verändernden Welt ist das eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit, in der kulturprägende Werke nicht verändert, verbessert, genutzt werden können. Denn auch die menschliche Kreativität ist nicht grenzenlos, sondern baut auf Eindrücken auf, die der Werkschaffende gesammelt hat und die er neu kombiniert. In einem gewissen Rahmen fördert die Regelschutzfrist sicher die Produktion von Werken, wird sie jedoch auf absurde Längen ausgedehnt, dann behindert es gerade aufstrebende junge Künstler – die, die Förderung am ehesten notwendig hätten.
Das einfachste Beispiel ist in diesem Fall der Disney-Konzern: Er verfolgte zuletzt 1998 erfolgreich die Verlängerung der Schutzfrist in den USA. Dabei profitiert gerade Disney davon, dass alte Märchen (Schneewittchen, Aschenputtel etc.) keinem Schutzrecht unterliegen und Disney diese aufgreifen und verändern konnte.
Ich will gewiss keine vollkommene Abschaffung der Schutzfristen fordern, aber in den 20 Jahren nach der Erstellung eines Werkes ist meiner Meinung nach genug Zeit, Geld damit zu verdienen.
Diese Maßnahme zielt nicht hauptsächlich gegen die illegale Nutzung von Medien durch Konsumenten, da diese, wie Sie selbst schreiben, eher an neueren Titeln interessiert sind – wobei diese Feststellung hier die Frage aufwirft, ob der Großteil der Künstler bzw. deren Kinder und Enkelkinder überhaupt von den langen Schutzfristen überhaupt finanziell profitieren. Die Verkürzung der Schutzfristen würde es vor allem anderen Werkschaffenden ermöglichen alte Werke neu zu interpretieren. Stellen Sie sich vor, es gäbe inzwischen nicht nur George Lucas StarWars, sondern auch zig andere Produktionen, einige schlechter, einige vielleicht besser als das Original. Die Kulturlandschaft wäre gewiss bunter. Für mich ist das mehr als Symbolpolitik, für mich ist das Kulturförderung.

Geistiges Eigentum oder geistiges Monopolrecht?

Sie sprechen in diesem Zusammenhang jedoch von einer Enteignung ihres geistigen Eigentums. Das ist erst einmal falsch, denn es findet keine Enteignung statt: Die Ideen bleiben ja weiterhin in ihrem Kopf. Sie werden nur der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Und laut Grundgesetz soll der Gebrauch des Eigentums dem Wohle der Allgemeinheit dienen – im äußersten Falle ist eine Enteignung möglich (die hier nicht stattfindet). Zum anderen ist der Begriff geistiges Eigentum äußerst kritisch zu betrachten, da er einem immateriellen Gut Eigenschaften von materiellen Gütern zuspricht – wie zum Beispiel Singularität. Dabei verhielten sich Ideen und Gedanken schon immer so, wie es die digitale Revolution auch Medien ermöglichte: Sie können nicht gestohlen, sondern nur mit minimalen Kosten kopiert werden – und mit jeder Kopie gewinnen sie an Einfluss und Bedeutung.
Auch ist der Begriff in seiner Definition sehr schwammig: Wo fängt eine schützenswerte Idee an? Fernsehkrimis laufen seit den ersten Gassenfegern meist nach dem selben Muster ab: Verbrechen wird begangen, die Ermittler ermitteln, der Zuschauer fiebert mit und in den letzten 15 Minuten klärt sich doch noch alles auf. Ist der Ablauf jetzt geistiges Eigentum? Und besitzen es die ersten Fernsehkrimidrehbuchschreiber oder die Autoren der ersten Kriminalromane?

Warum die und nicht wir?

Weiter im Text. Wie YouTube illegalen Plattform wie kino.to zum Erfolg verholfen hat wird wohl immer Ihr Geheimnis bleiben. Oder meinten Sie damit, dass YouTube, indem es urheberrechtlich geschütztes Material auf seiner Plattform sperrte, die User zu kino.to trieb? Ob Megaupload kriminell war, werden wohl erst die Gerichtsverhandlungen in den nächsten Monaten ergeben – oder sind Sie als Tatort-Autoren dem Rest der Öffentlichkeit da einen Schritt voraus?
Doch genug von den Spitzfindigkeiten, ich verstehe ihren Gram: Warum hat es die Urheberbranche nicht geschafft eigene Verkaufsplattformen wie Apples iTunes oder Marketingmöglichkeiten wie YouTube zu entwickeln? Nun wollen diese Unternehmen ihren Teil vom Kuchen abbekommen. Das ist Kapitalismus, wie ich es in meiner Antwort an Sven Regener bereits beschrieb.
Auch die Reduzierung von Dienstleistern wie Google oder den ISPs auf die Wegbereiter der Kriminellen, die leider im Moment das Geld abschöpfen, dass den Kunstschaffenden zu Gute kommen sollte, ist sehr kurzsichtig, da sie die enormen Vorteile für unsere Wissensgesellschaft durch schnelle und einfache Kommunikation und die Suche nach Informationen, die auch durch diese Anbieter teilweise erst möglich werden, außer Acht lässt.
Das Internet ist bestimmt nicht nur ein Tatort, sondern in erster Linie die bedeutsamste Erfindung seit dem Radio, vielleicht sogar seit dem Buchdruck.

Was ist falsch gelaufen?

Nächstes Thema: Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, als die Plattenfirmen cool waren? Am Puls der Zeit, dem Trend auf der Spur, die Erschaffer von Legenden? Jetzt gelten die Plattenfirmen als ausbeuterische Moloche, die Omas ohne Computer wegen Filesharing abmahnen und ihre eigenen Künstler ausnehmen. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Die Branche hat einen Trend verschlafen: Das Internet ist weder ein rechtsfreier Raum noch ein Plattenladen aus den 80er Jahren, sondern ein völlig neues Medium.
Auch Sie verpassen die neuen Möglichkeiten, wenn Sie denken, dass nur große Konzerne das notwendige Geld für große Produktionen aufbringen können: Crowdsourcing, Minispenden, Open Source Filme sind hier zukunftsweisende Konzepte.

Letzter Akt: Auflösung

Wenn sich die etablierten Kunstschaffenden weiterhin nur auf die veralteten Systeme des letzten Jahrtausend konzentrieren, dann klappt das sich noch eine Weile. Aber die Zielgruppe für diese Art von Konsum wird kleiner und kleiner, die jüngeren Generationen fühlen sich nicht Ernst genommen, gehen auf die (digitalen) Barrikaden – und genau deshalb ist es so wichtig diese Diskussion jetzt zu führen. Mit allen Beteiligten. Denn so lange keine Vertreter der Konsumenten an runden Tischen zum Urheberrecht beteiligt werden, wird nur an den Symptomen herum gedoktort, z.B. in Form von mehr Überwachung und weniger Nutzerrechten. Und natürlich wird auf gerne mit den Urhebern und Verwertern diskutiert – doch diese müssen sich auch offen zeigen für neue Herangehensweisen und alternative Modelle.
Ihr Schlusssatz stimmt mich hier zum ersten Mal zuversichtlich.
Mit freundlichen Grüßen,
1/x der “Netzgemeinde”

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