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Urheber vs. Konsument? Vorschläge statt Schimpfwörter!

In den letzten Tagen flammte die Diskussion über Urheberrechte im 21. Jahrhundert wieder auf: Der Grund war ein Rant von Sven Regener (von der Band “Element of Crime”) im Bayrischen Rundfunk. Da muss ich natürlich auch meinen Senf dazugeben…

1:47 “Für Leute zwischen 15 und 30 gibt es keine endemische Musik mehr. Die haben keine eigene Musik mehr”

Ich muss zugeben: Ich kannte Sven Regener vor seinem furiosen Auftritt im BR noch nicht, genausowenig wie seine Band. Anscheinend spricht diese “meine Generation” nicht an. Ist ja nicht schlimm. Genauso wenig scheint Sven R. allerdings die Musikszene für Leute zwischen 15 und 30 zu kennen. Es ist zwar richtig, dass heute nicht mehr die gesamte Jugend nur auf eine bestimmte Musikrichtung abfährt (“Generation Rock n’ Roll”), sondern auf tausende kleine Musikrichtungen. Das geht von Dubstep über Medieval-Metal zu alternative HipHop und K-Pop. Doch diese Entwicklung ist auch ganz logisch: Einzelne große Plattenfirmen sind im Zeitalter des Internets nicht mehr so wichtig und können keine Musikrichtung für ganze Generationen mehr vorgeben – jeder hört das, was ihm gefällt.

Es stört mich ja nicht, wenn sich Sven R. dafür nicht interessiert, aber dann soll er bitte solche falschen Aussagen unterlassen.

1:35 “Es arbeiten nur noch ein Bruchteil von den Leuten dort [in den Plattenfirmen] wie vor 10 oder 15 Jahren”

2001 arbeiteten laut dem Bundesverband Musikindustrie etwa 24.000 Personen in “Musikfirmen”. 2010 waren es noch 16.000. Ob man da jetzt von einen Bruchteil sprechen kann… aber okay, mit jedem Arbeitsplatzverlust ist immer ein persönliches Schicksal verbunden, deshalb sollte man diese Entwicklung durchaus Ernst nehmen. In jeder anderen Industrie würde jetzt gefragt werden: “Wie können wir unsere Waren effektiver an den Mann bringen?”. Diese Frage stellt sich Sven R. leider nicht, stattdessen verteufelt er moderne Marketing- und Publishingplattformen wie YouTube (s.u.).

2:38 “YouTube gehört Google, das ist ein milliardenschwerer Konzern, die aber nicht bereit sind pro Klick zu bezahlen.”

Quatsch. YouTube ist sehr wohl bereit pro Klick zu zahlen. Viele, auch deutsche Künstler, nutzen dieses Angebot namens “Monetarisierung” bereits, bei dem die Videouploader pro Klick einen gewissen Centbetrag erhalten. YouTube ist bisher nur nicht bereit einen weit höheren Betrag direkt an die GEMA zu zahlen. Das ist einfache BWL: YouTube stellt eine von Millionen Usern täglich genutzte Plattform zur Verfügung, die Videostreams ausliefert. Eigentlich sollte man meinen hier fände eine Symbiose statt: Künstlern wird kostenlos die Möglichkeit geboten, riesige Datenmengen (aka Videos) potenziellen Musikkäufern zu präsentieren. Davon profitiert wiederum YouTube (bzw. Google), da die Künstler mit ihrem hochwertigen Inhalten Nutzer auf ihre Server locken, mit denen Google durch Werbeeinblendungen Geld verdienen kann. YouTube ist im Gegenzug bereit, einen gewissen Prozentsatz dieser Einnahmen mit den Künstlern zu teilen. Wenn die GEMA jetzt aber ankommt und einen Betrag pro Klick fordert, der höher ist als die Einnahmen ist, die YouTube durch die Werbung macht, dann kann Google dem natürlich nicht zustimmen. Die gewaltigen Serverkosten mal völlig außen vor gelassen.

2:45 “Nun hat aber weder YouTube noch Google uns irgendwas zu bieten – außer, was andere Leute geschaffen haben und da rein gestellt wird.”

Die gewaltigen Marketingmöglichkeiten, die YouTube bietet, haben sogar die von Sven R. so geliebten Plattenfirmen schon erkannt und forderten eine schnelle Einigung von beiden Seiten.

Danach lässt sich Sven R. noch ein bisschen weiter über die YouTube-Deppen aus, alles basiert auf den Falschannahmen, die ich bereits gepostet habe, inklusive dem “Kopieren-von-digitalen-Dateien-ist-das-gleiche-wie-Klauen-im-Supermarkt”-Vorwurf. seufz. Was passiert, wenn ich ein Gerät entwickle, das Äpfel kopieren kann, und damit in den Supermarkt gehe? Ich wäre auf die Reaktion gespannt.

4:17 “Auch der Begriff Piratenpartei ist geistiges Eigentum und wenn ich morgen hier ‘ne Piratenpartei gründe, steht ‘ne halbe Stunde später der Anwalt der Piratenpartei auf der Matte”

Warum Sven R. auch ohne geistiges Eigentum-Anklage keine Piratenpartei mehr in Deutschland gründen kann, hat Christopher Lauer, Innen- und Kulturpolitischer Sprecher der Piratenfraktion in Berlin, bereits in seiner Antwort begründet (0:35, deutsches Parteiengesetz §4).

Lassen wir also dieses Beispiel weg und gehen von einem Fall aus, der zum einen realistischer und zum anderen auch eher dem Problem mit dem Begriff “Geistiges Eigentum” entspräche: Sven R. und seine Band “Element of Crime” (ein Name, wie für diese Debatte geschaffen) singen das Lied “Piratenpartei, Piratenpartei, die hat niemals Recht, Piraten, Piraten, wir finden euch echt schlecht”. Nun bezweifle ich, dass die Piraten hier rechtliche Schritte einleiten werden, aber selbst wenn: “OH GOTT! Hier wird geistiges Eigentum verwendet! Piratenpartei, den Namen hat sich mal ein Schwede ausgedacht! Moment mal, ein Schwede? Dann haben sich die deutschen Piraten den gar nicht ausgedacht? Und die wurden trotzdem nicht verklagt? Verrückt!”.

Der Begriff geistiges Eigentum ist mit großer Vorsicht zu betrachten. Denn in vielen Fällen wird damit z.B. das Patentrecht, das ursprünglich Forschung und Entwicklung fördern sollte, pervertiert und ins Gegenteil verkehrt. Wenn belgische Bibliothekare auf Gebühren verklagt werden, da sie Vorlesekreise für kleine Kinder anbieten oder in deutschen Kindergärten keine Kinderlieder mehr gesungen werden können, da diese urheberrechtlich geschützt seien, dann hat das mit dem Schutz von den Autoren nichts mehr zu tun, sondern ist Abzocke an Schwächeren. Da soll mir Sven R. doch mal erklären, wie die Schulbuchverlage Trojanerinstallationen auf Schulrechnern veranlassen können, wenn die Urheber-Lobby doch angeblich so schwach ist (3:20). Und das entgegen aller Datenschutzbedenken, Entgegen den Protesten der Lehrergewerkschaft und obwohl die Länder jährlich zwischen 7,3 und 9 Millionen an die Schulbuchverlage überweisen. Ach so, die Trojaner werden übrigens direkt von der Lobby programmiert. Na super.

Naja, ich komme vom ursprünglichen Thema ab: Was ich damit zeigen will ist, dass die Contentindustrie gesellschaftlichen Wandel mit mehr oder weniger rechtlichen Mitteln bekämpft – und damit ihre eigenen potenziellen Kunden als Feinde ansieht. Eigentlich stellt Sven R. schon die richtige Frage, als er sagte:

1:11 “Wenn das nicht funktioniert, dann müssen wir uns natürlich andere Wege überlegen, wie wir unsere Platten produzieren”

Leider ist die einzige Antwort, die ihm einfällt: Entweder, alles wird gefälligst wieder so wie früher, also das klare Sender-Empfänger-Kommunikationsverhältnis, wie man es aus Fernseh- und Radiozeiten kennt, oder wir machen eben keine Platten mehr. Innovative Ideen kommen nicht. Wie wohl die Künstler, die ihre Musik kostenlos verfügbar machen, produzieren und überleben? Doch natürlich hat jeder das Recht mit seinem Werk Geld zu verdienen (was allerdings kein Recht auf Erfolg dieses Vorhabens ist). Ich, als ominöses Internetkind, schlage mal ein paar alternative Möglichkeiten vor (es besteht natürlich kein Anspruch auf Vollständigkeit, der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt):

  • Crowd-Financing: Leute, die ein Projekt (ob Musikalbum, Computerspiel oder Film) gerne verwirklicht sehen wollen, zahlen einen beliebigen Betrag für das Startkapital z.B. über kickstarter.com oder startnext.de. Das klappte in der Vergangenheit wunderbar bei dem Computerspiel Double Fine, das so mehr als 3 Millionen Startkapital mit Hilfe von mehr als 80.000 Spendern erreichte, bei der Kinoversion von Stromberg oder dem Film Iron Sky.
  • Thank-You-Economy: Nutzer genießen kostenlose Inhalte und spenden, wenn ihnen etwas gefällt. Der größte Anbieter hierfür, der besonders unter Bloggern und Podcastern verbreitet, ist Flattr. Dort zahlt man einen festen Betrag pro Monat an Inhalteanbieter seiner Wahl aus. Lege ich einen Beitrag von 10 Euro im Monat fest und klicke auf 4 verschiedene Buttons, erhält jeder “Buttoninhaber” 2,50 Euro. So könnten die Konsumenten auch zeigen “Ja, das ist mir was wert” – genau das, was Sven R. fordert (0:45). Man könnte dieses System auch umbauen zu einer Art…
  • Kulturflatrate: Mein Modell sähe so aus: Jeder zahlt pro Monat beispielsweise 30 Euro. 15 Euro gehen direkt an die alte GEMA. Dafür werden CD- und DVD-Rohlinge, Festplatten und so weiter nicht mehr mit den Zwangsgebühren belegt, die im Moment jeder beim Kauf zahlt, da schon davon ausgegangen wird, dass dort “raubkopiert” wird. Die anderen 15 Euro kann der Nutzer nach dem Flattr-Prinzip an die Künstler seiner Wahl verteilen. Zahlt er freiwillig mehr als 30 Euro im Monat kann dem entsprechend mehr verteilt werden. Werden in einem Monat keine Künstler ausgewählt, dann geht das ganze in den großen ehemaligen GEMA-Tropf. Hier gibt es aber auch tausende andere Vorschläge.

Diese Vorschläge sind natürlich mit großen strukturellen Umbrüchen verbunden. Doch diese müssen nun mal mit großen technischen und gesellschaftlichen Umbrüchen einhergehen – und gerade die Musikindustrie hat diesen technischen Fortschritt leider verpennt. Und jetzt haben eben Google oder Apple das Heft in der Hand.

Stellen wir uns vor, die Musikindustrie hätte 2002 einen Online-Musikladen mit angemessenen Preisen gestartet. Denn wenn Druck, Transport und herkömmlichen Marketing für Onlinemedien kaum noch eine Rolle spielen, dann kann man nicht den gleichen Preis wie für eine gedruckte, verpackte und gelieferte CD verlangen. Nun, wäre dies der Fall, dann würde Apple nicht 30% des Verkaufspreises kassieren können. Die Einnahmen würden direkt an die Musikindustrie gehen, und davon wiederum ein Teil an die eigentlichen Künstler. Dafür würden zwar Kosten für Programmierung, Betrieb und Support der Verkaufsplattform anfallen, doch diese sind anscheinend mehr als genug durch die zusätzlichen 30% gedeckt – sonst würde Apple sich die Mühe ja nicht machen.

Wenn man nun so einen Trend verschläft, dann gehen natürlich die Umsätze zurück. Und dann gehen Firmen pleite und Leute werden entlassen. Das ist schade – aber so läuft Kapitalismus.

Zur Person

Sven R. ist ein erfolgreicher deutscher Künster, ob Musik, Filme oder Bücher. Er spielt in der Band “Element of Crime”, gegründet 1985, also vor 27 Jahren. Gehen wir mal davon aus, dass die ersten Fans mit 18 Jahren zur Band gekommen sind. Heute wären die dann 45. Kaum das Alter, in dem illegale Download eine Rolle spielen. Diese These wird von der Verkaufszahlen gestützt: Für ihre 2005 und 2009 veröffentlichten Alben erhielt die Band jeweils eine Goldene Schallplatte, sie wurden also mehr als 100.000 Mal an den Handel geliefert. Und das mitten im Niedergang der gesamten Kulturindustrie? Gut, Sven R, bezieht sich auch auf die kleinen Indielabels, die seit neustem angeblich keine Chance mehr hätten und reihenweise eingehen.

Dazu muss man sagen, dass es Indielabels schon immer schwer hatten. Das war auch schon vor dem Internet so. Ich würde sogar behaupten, dann es durch das Internet leichter für kleinere Labels geworden ist, ihre Musik zu verbreiten und Geld zu verdienen. Audiolith ist dafür das Paradebeispiel. Die Vorteile sollten auf der Hand liegen:

  1. Leichte Erreichbarkeit der Zielgruppe durch YouTube, Facebook etc.
  2. Kein gerade für Kleinserien kostenintensiver Druck von CDs mehr, und dadurch auch
  3. Kein Risiko auf Unmengen nicht verkaufter CDs sitzen zu bleiben
  4. Keine Kosten für “echtes” Marketing, das übernimmt bei guten Produkten die Crowd (durch Linkes/Shares etc.)

Die Haupteinnahmen macht Audiolith mit T-Shirt und Konzertticketverkäufen. Denn anscheinend ist die Kundschaft durchaus bereit etwas auszugeben – ist die angebliche Kostenlos-Mentalität bei Konzerttickets plötzlich weggeblasen?

Fazit

Sven R. hat durchaus Recht: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Doch ein Zurück in die 80er (in denen die Raubkopierer mit dem Figer auf der Recording-Taste vor dem Radio gehockt haben) kann es nicht geben. Neue Konzepte müssen her. Und bei einem Blick ins Programm der Piratenpartei wird klar, dass diese gar nicht “ALLES FÜR KOSTENLOS!” fordert, sondern “Die heutige Regelung der Verwertungsrechte wird einem fairen Ausgleich zwischen den berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Urheber und dem öffentlichen Interesse an Zugang zu Wissen und Kultur jedoch nicht gerecht.” Klingt schon vernünftiger, oder? Denn diese Debatte ist schon seit mindestens 10 Jahren überfällig.

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