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Zensur: Im Iran böse, hier gut?

So schnell kanns gehen. Noch vor einem Monat hätte ich gedacht, dass es noch ein bis zwei Jahre dauern wird, bis der nächste Politiker ein Stopp-Schild vor islamistischen oder rechtsextremen Websites fordern wird. Da hat mich Dieter Wiefelspütz nun schon am 06.06.2009 eines besseren belehrt. Nun kommt die Justizministerin Sachsen-Anhalts, Angela Kolb (SPD), und fordert eine europaweite Ausweitung der Sperren, da andere europäische Staaten ja ach so”das erfolgreich praktizieren”.

Was spricht denn dagegen?

Nun, ganz abgesehen von Artikel 5 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, das noch vor einigen Tagen 60 Jahre alt geworden und dort euphorisch gefeiert worden ist, und bei dem sich einige schlaue Leute damals bestimmt was bei gedacht haben, sprechen auch technische Probleme dagegen.

Artikel 5

“Eine Zensur findet nicht statt.” – Schön wärs. Denn wer kontrolliert den Kontrollierenden? Wenn es um Kinderpornografie geht, niemand. Das BKA kann sperren was es will. Nicht, dass es was bringen würde: Jedes 12-jährige Scriptkiddie kann die Sperre umgehen – wenn es denn wollte. Das Argument der “Was ist jetzt nochmal ein Browser”-Politiker: Die Sperren können aber ja wenigstens das “anfixen” von unschuldigen Surfern, die plötzlich auf KiPo stoßen verhindern. Wie bitte? Es gibt Leute, die seit 20 Jahren im Netz unterwegs sind, und noch nie auf KiPo gestoßen sind. So etwas findet man nur, wenn man gezielt danach sucht. Und dann hält einen auch kein populistisches Stopp-Schild mehr auf.

Frau von der Leyen ist nun schon fast 4 Jahre in ihrem Amt als Ministerin für “Familie, Frauen und Gedöns” (Gerhard Schröder). Und nun fällt ihr, ein halbes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl plötzlich ein, dass man ja was gegen Kinderpornografie im Internet tun muss. Huch! Das Problem ist ja so plötzlich aufgetaucht! Frau Kolb sagte gestern: “Jeder Klick weniger hilft den Kindern. Wenn es keinen Markt dafür gibt, werden auch keine Bilder ins Internet gestellt.”. Warum hat man dann vier Jahre gewartet? Ist das Familienministerium nun nicht Schuld, dass so lange Kinder gequält wurden? Oder hat wenigstens nichts dagegen unternommen?

Nein natürlich nicht. Jedenfalls, wenn man logisch an die Sache dran geht: Die Sperren schützen die Kinder nämlich nicht, im Gegenteil:

Websitesperren zerren das Problem der Kinderpornografie aus der öffentlichen Wahrnehmung!

Denn für den Otto-normal-Bürger ist das Problem scheinbar gelöst: Die Seiten sind ja gesperrt…die Pädophilen lachen sich ins Fäustchen: “Danke, Frau von der Leyen!”.

Nun eine kleine, aber wachsende Minderheit der Digital Natives und Netzaffinen machen auf die Probleme aufmerksam – und werden im Gegenzug von schwedischen Politikerinnen mit Vergewaltigern verglichen.

Zensur: Im Iran böse, hier gut?!

Und so geht es fröhlich weiter: Während die Politiker hierzulande ein Loblied auf die tapferen iranischen Oppositionellen singen, die trotzdem der Gefahr auf Twitter und Youtube über die Proteste dort berichten, baut man still und leise eine Zensur in Deutschland auf. Erst Kinderpornografie, um potenzielle Kritiker schnell ruhig stellen zu können, dann islamische und rechtsextreme Websites, später vielleicht auch linksextreme und so weiter…

Ich will gar nicht Frau von  der Leyen beschuldigen, so weit gedacht zu haben, auch nicht Dieter Wiefelspütz. Das Problem ist allein, dass eine Zensurinfrastruktur geschaffen wird. Und die wird in 20 Jahren vielleicht zu ganz anderen Zwecken dienen…

Digital Immigrants

Die Politiker der “Ich war schon ein oder zwei mal im Internet”-Generation sind entweder dreist oder dumm haben schlechte Berater. Dies sieht man am Beispiel von Angela Kolb, die ich ja bereits im Vorspann erwähnt hatte:

Im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur über die Zugangserschwernis zu kinderpornografischen Websites:

“Es gibt schon einige Staaten, die das erfolgreich praktizieren.”

Oh. Gut zu wissen. Vermutlich meinte sie die skandinavischen Länder.

Komisch nur, dass selbst die schwedische Polizei da anders denkt: In der März-Ausgabe des Focus sagte der Chef der Polizeiermittlungsgruppe gegen Kinderpornografie und Kindesmisshandlung in Stockholm, Björn Sellström: “Unsere Sperrmaßnahmen tragen leider nicht dazu bei, die Produktion von Webpornografie zu vermindern”. Aha. Weiter im Text.

“Wir wissen, dass Internet-Sperrungen keine umfassende Lösung bieten. Es gibt nach wie vor Foren, an die man mit diesen Sperren nicht herankommt.”

Die Sperren kommen also nicht an alle Websites heran, im Gegensatz zu Pädophilen, die selbst an Websites mit Sperren herankommen. Das entspricht einer Logik, die sich mir gerade entzieht. Für SPD-Justizministerinnen auf Länderebene macht das aber sicher Sinn, was wohl auch der Grund ist, warum ich noch keine Justizministerin bin bzw. sein werde.

“Aber wir sagen der Kinderpornografie den Kampf an.”

Symbolisch natürlich nur. Sind ja bald Wahlen. Und es ist billiger einen grundgesetzwidrigen Vertrag mit den Providern abzuschließen und ein, zwei BKA-Beamte eine txt-Datei mit bösen Seiten führen zu lassen, als 100 BKA-Beamte ein Jahr lang das Web durchforsten und kinderpornografische Websites den Serverhostern zu melden, die diese durchschnittlich 12 Stunden nach Eingang der Meldung vom Netz genommen haben. Vollständig. Da kommt weder ein Scriptkiddie, noch ein Superhacker dran. Aber nee, dann hätte man ja nicht so ein schönes, rotes Stopp-Schild, dass man der versammelten Presse zeigen könnte.

“Wenn die Server im Ausland stehen, haben wir aber geringe Chancen. […] Das Problem ist, dass die meisten Server, über die kinderpornografische Bilder verbreitet werden, im Ausland stehen”

1. Das könnte ich Frau Kolb auch sagen können: Das Ausland ist schließlich etwas größer als Deutschland. Allerdings gibt es auch im Ausland verschiedene Länder. Und auf die kommt es an. Einen Server in Ugulumpu (ich entschuldige mich, sollte es diese Stadt wirklich geben) zu hosten ist teuer und unsicher. Man braucht die richtige Infrastruktur. Die gibt es z.B. in den USA, den Niederland und Deutschland, wo weltweit die meisten Kinderpornowebsites gehostet sind. In allen diesen Ländern, in der gesamten EU, in den USA, in Japan usw. genügt ein Anruf bei den zuständigen Behörden bzw. gleich an den Serverhoster, und das Problem ist erledigt. Endgültig.

Zitat auf  Spiegel Online: “Klappt das jedoch nicht, sollen im Internet künftig Stopp-Schilder erscheinen, wenn kinderpornografische Inhalte aufgerufen werden. Damit soll eindeutig klargemacht werden, dass ein Umgehen dieser Sperre strafbar ist.”

Wenn jemand nach Kinderpornografie im Internet sucht, dann ist das eh strafbar. Das Umgehen der Sperre ist dann nur noch ein kleiner weiterer Schritt. Abgesehen davon könnte man das Zitat auch so sehen: “Wenn wir die Seite nicht gelöscht kriegen, packen wir da ein Stopp-Schild vor und vergessen die ganze Angelegenheit.”. Klasse. Ein Kleinkind denkt auch: “Wenn ich was nicht sehe, sieht mich das auch nicht” – und hält sich selbst die Augen zu. Das Problem: Frau Kolb ist inzwischen 45.

“Für mich hat die Freiheit des Internets ihre Grenzen, wo strafrechtliches Tun stattfindet.”

Richtig. Für mich auch. Ich trete dafür ein, dass die Seiten nicht gesperrt werden, sondern vom Netz genommen. Abgesehen davon: Ich denke, dass die Pädophilen eh weg vom Internet hin zu Post und Handy gewechselt sind…Kleben wir jetzt vor bestimmten Briefkästen Stopp-Schilder?

Quelle des Interviews: Spiegel Online

Tauss wechselt zu Piratenpartei

Soll er doch. Ein Verdächtiger ist unschuldig bis zum Beweis der Schuld. Dann muss man natürlich entsprechende Konsequenzen ziehen.

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  1. Interessante Gedanken gemixt mit nicht zu übersehendem Sarkasmus.
    Ich denke, dass es noch eine ganze Weile dauern wird, bis Politiker halbwegs Ahnung in Sachen Computer und Internet haben werden und somit die ganzen Pädophilen weiter ohne Probleme an Kinderpornos herankommen.

  2. ich dekne, dass kinderpronografie nicht das problem selbst darstellt.

    wenn es kinderpornografie gibt, muss es irgendwo auch den entsprechenden kindsmissbrauch geben. wäre es nicht sinnvoller, man ginge gegen ebendiesen missbrauch vor, als gegen aufnamhen davon?

  3. Das Argument,in anderen Ländern
    gäbe es soetwas auch, ist ein Totschlagargument, was man für so ziemlich jedes Anliegen verwenden
    kann.Wenn ein gewisser Staat zwischen Kanada und Mexiko unverurteilte, oft nur mit nmangelnder Beweislage behaftete
    Verdächtige weit über die Untersuchungshaft hinaus in einem Folterlager
    auf Kuba festhält,heißt das aber nicht,dass wir uns das in
    Deutschland abkucken müssen.
    Aber eine Frage:Kann man mit dem
    vom-Netz-nehmen nicht auch eine
    Internetzensur erreichen? Dass
    das Internet ein völlig freier
    unkontrollierter Raum bleibt,halte ich sowieso für utopisch.Ob man nun eine Zensur durch Sperrung oder generelles
    vom Netz nehmen erreicht,
    beides ermöglicht doch letzendlich den staatlichen oder privaten Eingriff in die
    Meinungsfreiheit(welche aber
    ohnehin nie völlig gegeben war
    und sofort aufhörte,wenn sich irgendjemand beleidigt fühlte
    -Stichwort Volksverhetzung).Wir
    müssen uns an eine gew. Zensur
    also auch im Internet gewöhnen
    und tunlichst aufpassen,dass diese nicht für politisch motivierte Lenkungen der Bevölkerung missbraucht wird.
    Aber natürlich,die Sache mit der
    Kinderpornographie eignet sich als Anfang wegen mangelnder öffentlicher Akzeptanz natürlich
    besser als das Sperren von polischen Seiten,da hier ein
    erstes Demokratiedefizit spürbarer wäre.